Forum: Zitate

Re: Der Herr verschone mich, ausgerechnet Mathematik

»Wobei ich selbst die Begegnung mit der Natur vorziehe ohne -wissenschaft im Anhang. Also am Meer sitzen, die Augen schließen, den natürlichen Wellenbewegungen lauschen, dem Rauschen ... da klärt sich mir alles ganz unkompliziert nahezu von selbst. Ich brauche nicht zu rechnen, sondern vertraue mich den Gesetzen der Natur an, ohne sie kontrollieren oder vom Kopf her verstehen zu wollen.

Es ist (zum Teil auch durch die schulische Ausbildung bedingt) ein verbreiteter Irrtum, Mathematik sei gleich Rechnen. Vielleicht sollte das Schulfach tatsächlich Rechnen und nicht Mathematik heißen. Rechnen verhält sich zu Mathematik in etwa so, wie die Wand streichen zu Bildern malen.

Es ist sehr schön, am Strand zu sitzen, sich ohne Nachdenken der Stimmung hinzugeben und den Augenblick zu genießen. Genauso schön ist es einfach nur Musik zu hören oder ein Gedicht zu lesen, ohne dabei zu analysieren, welche Strukturen in dem Musikstück zu Tage treten oder wie die Form des Gedichtes zum Inhalt steht. Einfach die Seele baumeln lassen, den Moment genießen, ist ein menschliches Bedürfniß, das auch dem Mathematiker oder Naturwissenschaftler nicht fremd ist.

So wie ein Bad in einem klaren Bergsee den Körper erfrischt und stärkt, tut ein Abend am Strand, ein Spaziergang durch den Wald oder der Blick von einem Berg der Seele gut. Und den Geist erfrischt eben geistige Tätigkeit, die sich in vielerlei Formen manifestieren kann. Man kann sich alltäglichen Problemen widmen, über Gesellschaft oder Geschichte nachdenken, sich mit Kunst und Poesie befassen, versuchen die Natur zu ergründen oder sich mit Mathematik beschäftigen. Die sowohl spielerische als auch konzentrierte geistige Arbeit, deren Ergebnis vielleicht ein kleiner Zugewinn an Erkenntnis ist, ist für den Geist das, was für den Körper eine Besteigung eines Berges oder das Schwimmen in einem See ist.

Für die geistigen Bäder - da stimme ich Herrn Mittelberg zu - ist nunmal die Mathematik das reinste Wasser. Das ist nicht als Abwertung der anderen geistigen Tätigkeiten zu verstehen, etwa im Sinne, daß diese unsauber oder weniger wichtig wären. Die "Reinheit" der Mathematik besteht in ihrer großen Objektivität, ihrer strengen Methodik und ihren Ergebnissen, die unseren Begriffen von Wahrheit am nächsten kommen. Sie beschäftigt sich mit Strukturen und Mustern, die allein für sich einen ästhetischen Wert haben. Daß diese Strukturen nebenbei einen guten Teil unserer Welt erklären und ohne diese Erkenntnisse weder Computer, noch Fernsehen, noch medizinische Geräte möglich wären, ist eher ein Nebeneffekt. Während Wahrscheinlichkeitsrechnung und Analysis auch durch außermathematische Impulse vorangetrieben wurden, war die Zahlentheorie über zweitausend Jahre lang nur zum geistigen Vergnügen des Menschen da.

Ja, so ein Bad im reinen Wasser der Mathematik ist eines der größten Vergnügen für den menschlichen Geist. Leider kommt man nicht ohne Anstrengung zu diesem Genuß - es ist nicht so einfach, wie in das nächste Schwimmbad zu gehen. Nein, dieses Wasser findet man erst nach beschwerlichem Aufstieg in einem kleinen Bergsee. Und wer die Mühen des Aufstiegs nicht gescheut hat, den kann vielleicht das klare, aber gleichzeitig kalte Wasser noch abschrecken. Man muß schon mit kräftigen Zügen darin schwimmen, damit einem richtig wohl und warm wird. Aber dann ist das Gefühl herrlich.

G. Krauss
08.03.2007, 12:28 Uhr - G. Krauss

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